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Wikimedia-Salon „Sprachgewalt“– Wenn Hassrede im Netz den demokratischen Dialog gefährdet

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Was bewirkt sprachliche Gewalt im Netz und warum ist es wichtig, die Botschaften hinter den Worten ins Bewusstsein zu bringen? Auf dem Podium sprachen die Bundestagsabgeordnete und Netzaktivistin Anke Domscheit-Berg, der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch, Videomacher und Aktivist Tarik Tesfu und Christina Dinar von der Amadeu Antonio Stiftung miteinander. Durch den Abend führte Stefanie Lohaus, Publizistin und Mitbegründerin des Missy Magazine.

Was ist gewaltvolle Sprache, wen betrifft sie, was bewirkt sie?

Wikimedia-Salon bei der Feministischen Sommeruni 2018 Foto: Tanja Schnitzler, CC BY-SA 4.0

Woran erkennt man, wenn Sprache gewalttätig wird? Anatol Stefanowitsch nannte neben der inhaltlichen Ebene, also offensichtlich herabwürdigenden Ausdrücken, auch grammatische Strukturen, die etwa andere Geschlechter als Männer unsichtbar machen oder Täter verschleiern. Durch Passivkonstruktionen werde medial die Aufmerksamkeit häufig vom Täter weggelenkt, etwa beim Begriff Familientragödie oder Beziehungstat. Auch durch subtilere Mechanismen im Sprachgebrauch könne Gewalt ausgeübt werden, etwa durch ständiges Unterbrechen, Übergehen von Personen oder das Absprechen von Kompetenz.

Bei der Frage, wen Hate Speech im Netz überhaupt trifft, waren sich Anke Domscheit-Berg und Christina Dinar einig, dass Frauen klar die am häufigsten betroffene Gruppe seien; gut belegt durch Studien von Amnesty International oder UN Women. Laut Anke Domscheit-Berg zeigt sich häufig ein Dreiklang, der in dieser Kombination fast nur Frauen treffe: Optik, Sexualität und Gewalt. Frauen würden selten tatsächlich inhaltlich kritisiert, sondern anhand dieser drei Bereiche entwertet; Beleidigungen aufs Äußere und auf die Sexualität bezogen sowie konkrete Gewaltandrohungen. Hier betonte sie, dass auch in Hinblick auf Persönlichkeiten, die bewusst Debatten provozieren, etwa Beatrix von Storch (AfD), oft nur diese Form der Beleidigung die einschlägige Praxis sei. Eine auf den Inhalt fokussierte Gesprächskultur ist also in keinem politischen Lager, bei keiner gesellschaftlichen Schicht selbstverständlich.

Gewaltvolle Sprache sei für Frauen zudem besonders belastend, da etwa 40% von ihnen auch sexualisierte Gewalt im Alltag erleben und gewaltvolle Sprache dadurch etwas konkretes, ein Trigger sei, der dadurch viel brutaler wirke als bei Menschen, die noch nie Opfer von Gewalt wurden. Das Argument, das sei ja nur Verbal-Müll, nur Theorie, gelte also nicht.

Rassismus und Sexismus sind die Probleme, nicht der digitale Raum

Tarik Tesfu zeigte sich nicht verwundert über die Dimension gewaltvoller Sprache im digitalen Raum. Wer ihn im Netz mit Schimpfwörtern angreife, werde sicher nicht beim Kaffee zu ihm Person of Colour sagen. Daher sei er ein Gegner des Begriffs Hate speech; dieser vermittle den Eindruck, es handele sich um ein neues Phänomen, während es Rassismus, Sexismus, Homophobie, Trans- und Behindertenfeindlichkeit schon immer gegeben habe, lange vor der aktuellen Debatte um die AfD. Anke Domscheit-Berg widersprach, noch nie habe ihr jemand die Dinge ins Gesicht gesagt, die im Netz offenbar leicht fallen. Die Qualität der Gewalt sei durchaus im Netz eine andere. Tesfu entgegnete, die Stufe der Gewalt sei keine neue, Betroffenen wurde jahrelang lediglich kein Gehör geschenkt. Ebenso wie im Netz würden Betroffene im echten Leben unsichtbar gemacht. Was im Netz passiert, passiere auch im analogen Leben, nur könnten wir jetzt alle zuschauen.

Rechtsruck verdrängt Stimmen aus dem demokratischen Diskurs

Anatol Stefanowitsch meint, der Kategorische Imperativ sollte auch das moralische Kernprinzip für Sprache sein. Beispielhaft erläuterte er, warum das Böhmermann-Gedicht zu Erdogan eine indirekte Hassrede verkörpere. In einer solchen werde zwar auf den ersten Blick nur eine einzige Person angesprochen, jedoch eine ganze Bevölkerungsgruppe diffamiert, indem mit Rassismen aus dem Alltag türkischstämmiger Menschen in Deutschland um sich geworfen werde.

Auch die Auswirkungen auf die Entwicklung der Demokratie waren Teil des Gesprächs. Wenn Menschen durch Sprache verschreckt werden, weil sie es nicht mehr aushalten und sich zurückziehen, nehmen sie nicht mehr an einer demokratischen Debatte teil, sie werden aus dem öffentlichen Diskurs verdrängt und ihre Stimmen nicht mehr gehört. Hassrede stelle laut Anke Domscheit-Berg insofern eine Gefährdung der Demokratie dar, als dass sie im Netz überproportional vertreten sei und so Einfluss auf die Politik nähme. Wenn die Wahrnehmung dadurch verschoben würde und das Bild entstehe, dies sei die mehrheitliche Meinung des Volkes, rückten Parteien nach rechts. Selbst im Bundestag herrsche mittlerweile eine Gesprächskultur, in der Dinge sagbar seien, die sie einmal für unmöglich gehalten hätte. Sie empfahl das Buch LTI-Notizbuch eines Philologen zum Vergleich der Sprache des Dritten Reiches und der AfD.

„Wenn ich Hassrede lösche, ist sie unsichtbar. Das gibt mir kein gutes Gefühl“

Anke Domscheit-Berg im Wikimedia-Salon. Foto: Tanja Schnitzler, CC BY-SA 4.0

Wie umgehen mit sprachlicher Gewalt im Netz? Tarik Tesfu „lässt den Hatern kurz ihren Spaß“ und gehe lieber ein Bierchen trinken, als alles zu löschen. Zudem sagte er, wenn er Hass-Kommentare lösche, gebe ihm das kein gutes Gefühl. Immerhin sei der Hass da, was bringt es, ihn unsichtbar zu machen? Tesfu warb für seine Kampagne “Rassismus den Stinkefinger zeigen!”, bei der er fünf Organisationen unterstützt, die sich gegen Gewalt und Hass engagieren. Außerdem sei es wichtig, Betroffene in den Fokus beim Kampf gegen Hass zu rücken. Solidarität von Nichtbetroffenen sei super und auch ein wichtiger Support für Betroffene, jedoch sollte man aufhören immer nur über diese Menschen zu sprechen und die Betroffenen endlich mit an den Tisch holen. People of colour seien immer noch viel zu selten sicht- und hörbar, was auch bei dem “Wir sind mehr”-Konzert in Chemnitz deutlich zu sehen war.

Mehr Verbote jedoch würden laut Christina Dinar dazu führen, den Rechten zu viel Raum in der Debatte einzuräumen. Wir sollten den Fokus verschieben und mehr über Solidarität sprechen, wir wir uns gegenseitig füreinander stark machen können und warum das überhaupt so wichtig ist. Somit könne man den Diskurs nachhaltig verschieben.

Möglichst viel von dem tun, was Rassisten und Antifeministen hassen!

Was können weitere Ansätze sein um eine neue Sprachkultur zu etablieren und wie gehen wir mit Hass und Rassismus im Netz und in der realen Welt um? Für Anatol Stefanowitsch ist der einfachste und effektivste Weg, so viel wie möglich von dem zu tun, was Nazis und Antifeministen hassen. So bleiben wir bei dem, was wir eigentlich wollen und hören auf, unsere Energie mit dem Kampf gegen den Hass zu verbrauchen und auf Provokationen einzugehen. Gleichzeitig ärgere es Nazis, womit zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen würden.

Die Beitragenden des Podiums waren sich grundsätzlich einig, konnten sich aber gut aus ihrer jeweiligen Position und Sicht ergänzen. Ein gelungener Abend, der deutlich gemacht hat: Wir sind alle gefragt, jeden Tag für Chancengleichheit und gegen Rassismus und Gewalt einzustehen.

Video-Interview Tarik Tesfu:

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